Etwa 48 Stunden nachdem Putin die Ukraine angegriffen hat, bekomme ich eine Nachricht von einem guten Bekannten aus Kigali. Seine Tochter studiert in der Ukraine Medizin und hat große Schwierigkeiten das Land zu verlassen. Er ist in sehr großer Sorge. Sehr verständlich.
Wir nehmen Kontakt zu ihr auf, kennen sie seit 2016 persönlich. Eine sehr beeindruckende, lebenslustige und intelligente junge Frau.
Auf die Frage wie wir helfen können, kommt prompt die Antwort: sie benötigen dringend einen Transport zur Grenze. Zusammen mit weiteren 80 Student:innen harren sie unter südöstlich von Kyjiw aus. (Meinen dieselbe Stadt, nämlich die Hauptstadt der Ukraine. Allerdings werden unterschiedliche Schreibweisen benutzt: die russische und die ukrainische, wir unterstützen die ukrainische Schreibweise). Es herrschen chaotische Zustände und kein Entkommen.

Unter dem Hashtag #AfricansinUkraine kann man in den sozialen Medien Bilder und Videos von Afrikaner:innen sehen, die aus Zügen gezerrt werden um Platz für weiße Ukrainer zu machen. Ein weiteres Video zeigt eine junge afrikanische Mutter mit einem Baby, draußen in der Kälte und der Grenzübertritt wird verweigert. Ukrainer dürfen passieren, Menschen aus anderen Ländern, die in der Ukraine studieren nicht.
Es gibt Berichte, dass Studierende afrikanischer Herkunft von einigen Grenbeamten an der polnischen Grenze abgelehnt wurden, um umgehend mit einem Bus in das Landesinnere der Ukraine gebracht zu werden.
Das Problem an der Grenze ist das eine. Viel dringender noch ist und war das Problem des Transports bis zur Grenze. Im ganzen Land herrscht Angst und chaotische Verhältnisse. Jedem ist klar, dass die Infrastruktur nicht mehr einwandfrei funktioniert und das Transporte aus den unterschiedlichen Gründen nicht möglich sind. Doch wenn es zusätzlich noch Schwierigkeiten aufgrund von Hautfarben gibt, erschwert es die Flucht gravierend. Daher machen Berichte von Hilfsbereitschaft und Unterstützung durch engagierte Ukrainer und Polen wieder Mut.
Seit dieser Nachricht vom Freitag ist viel passiert. Wir haben verschiedene Routen „geplant“, mit Organisationen gesprochen, die in den angrenzenden Ländern an den Grenzübertritten aktiv sind. Sie nach ihrer Einschätzung gefragt, überlegt welche Route möglicherweise sicherer ist. Kontakt zu Botschaften aufgenommen, Kontakte zu Politiker:innen geknüpft, auf diversen Kanälen nach Information und Hilfe gesucht. Und bekommen. Irgendwann hatten wir eine ukrainische Telefonnummer von jemanden, der privat Transporte organisiert. Kurze Freude, doch die Nummer war nicht gültig. Weitere Nummern dieser Liste abgeklappert. Wieder Enttäuschung. Falsche Nummern, nicht vergeben, falsch verbunden. Also eine Sackgasse. Weitersuchen, Netzwerk aufbauen. Da bietet jemand an, Flüge nach der Grenze innerhalb Europas zu bezahlen, jemand anderes schickt Geld. Wir leiten direkt weiter. Keine 10 Minuten später wird das Geld in der Ukraine von der Studentin abgeholt. Ein finanzielles Polster für die Flucht. An verschiedenen Grenzregionen stehen unterschiedliche Organisationen parat, sie in Empfang zu nehmen. Plan B steht, an Plan A wird noch gearbeitet.
Dann die Nachricht, dass die Gruppe den Ort verlassen hat. Dann lange nichts. Bis wieder eine Nachricht kommt, diesmal erneut aus Kigali. Ein erleichterter Papa, der berichtet, dass seine Tochter im Zug Richtung Polen sitzt. Er bedankt sich für die Unterstützung, und dass, wo wir eigentlich so hilflos und nutzlos waren. Es war uns leider unmöglich einen Transport/ Konvoi / Bus etc innerhalb der Ukraine zu organisieren – egal mit welcher Organisation, Botschaft, Wirtschaftsunternehmen wir gesprochen haben. Aber vielleicht tat es auch einfach gut, wenn man das Gefühl hat, es gibt da jemanden, dem ist das Schicksal Deines Kindes nicht egal.

Die Idee, dass Hilfskonvois vollbeladen in die Ukraine reisen und auf der Rückfahrt/ Leerfahrt einige Menschen mit zur Grenze nehmen könnte, klingt solange gut, bis man lernen muss, dass es derzeit keine Transporte in die Ukraine gibt.
Die Hilfe, die einem diesseits der Grenzen angeboten wird, ist enorm. Wir hatten für fast jede Grenz-Option einen Kontakt. Wir wussten ja nicht, welche Möglichkeiten sich auftun. Nun wird es Polen. Dort stehen neben Hilfsorganisationen auch die Botschaften bereit für eine konkrete und schnelle Hilfe. Wie gesagt, Plan B steht.
Aktuell befindet sich die Gruppe noch eine ganze Weile von der polnischen Grenze entfernt. Zumindest hat die EU heute erklärt, dass alle Geflüchteten aus der Ukraine willkommen sind – das dürfte das Problem an der Grenze entschärfen.

Aber bis dahin heißt es weiter bangen und hoffen, dass alles gut geht.
Die Situation ist sicherlich für alle Betroffenen extrem schwierig. Beschwerliche und plötzliche Flucht, extreme Ängste seine Familie und Freunde zu verlieren, ungewisse Zukunft, das Land im Kriegszustand. Und im Hinterkopf immer der Mann, der droht den roten Knopf zu drücken.
Unsere Gedanken sind bei Euch.
UPDATE 3.3.: die Studentin hat zusammen mit anderen Polen erreicht und ihr geht es soweit okay.