Betty, die Kämpferin

Mutterseelenallein. Was für ein starkes Wort. Assoziativ, emotional und selbsterklärend. Mutterseelenallein war das Wort, welches mir in den Sinn kam, als ich Betty und Didier kennengelernt habe. Das schwere, traurige Gefühl inklusive, welches mit diesem Wort einhergeht.

Ich stehe im November 2019 mit einem Freund auf einem Feld mitten in der östlichen Provinz in Ruanda. Um mich herum jede Menge Fußballspieler – motivierte Jungspunde, die ihre Kräfte messen. Didier, ein 17- jähriger Junge mit Wollmütze bei 25 Grad bietet mir einen kunstvoll gebauten Papierflieger an. Dankend aber beeindruckt lehne ich ab.
Wir quatschen ein wenig.
Der Flieger ist kreativ und technisch gut gemacht und ich frage ihn ob er Ingenieur oder Künstler werden möchte. Er erzählt mir ausschweifend von seinen tollen Noten und hochtrabenden Plänen. Im weiteren Gespräch kommen uns Zweifel an seiner Schullaufbahn und wir suchen ein ruhiges Gespräch ohne neugierige Zuhörerschar.

Nach einigen Minuten lässt Didier seine starke und selbstbewusste Maske fallen und er erzählt. Von seiner Familie, die ohne Eltern aufwächst.
Von seiner großen Schwester Betty, die sich um ihn und seine 5 Geschwister kümmert. Das Jüngste ist 5 Jahre alt. Eine Kinderfamilie – ohne Eltern, nur auf sich gestellt.

Didier vor seinem Haus in einem kleinen Ort in der östlichen Provinz

Didier lädt uns ein ihn zu Hause zu besuchen und seine Schwester kennen zu lernen.

Betty

Wir haben Betty gebeten uns ihre Geschichte zu erzählen.

Betty ist 25 Jahre alt und ihr jüngster Bruder gerade geboren als ihre Eltern sich vor 5 Jahren scheiden ließen. In diesem Jahr beendete sie gerade erfolgreich ihre Schule mit dem Abitur, Vor der Scheidung führten sie ein Leben „in a good way of life as other families“. Doch dann kam der Tag der Trennung und alles wurde chaotisch. Die Eltern verließen nach und nach das Haus und ihre Kinder und zogen sogar in andere Länder. Sie überließen den Kindern das Haus und die komplette Verantwortung.

Und Betty wurde als Erstgeborene mit 22 Jahren über Nacht Mutter und Vater zugleich – zuständig für ihre Geschwister, zuständig für Essen, Kleidung, Erziehung und auch Trauer- und Traumabewältigung. Zuständig für Alles.
Unsagbare Sorgen und Schmerzen, Verlust, Trauer, Angst, Verzweiflung und Hunger begleiten diese Kinder von nun an.

Das jüngste Kind, Valentin. Fotograf: Betty



Ackern für fast Nichts
Betty fand einen kleinen Job, bei dem sie 700 RWF am Tag verdient.
Das entspricht 70 cent. Dafür steht sie stundenlang auf einem Feld und beackert es oder pflügt es um. Es war die einzige Möglichkeit etwas Geld zu verdienen, um wenigstens einmal am Tag Essen zu bekommen.
So vergehen die Jahre. „We live in this shadow of life within 3 years sometimes we sit and we wish to die“.

„Eines Tages kam mein Bruder und erzählte mir, wie er sich mit jemandem getroffen hat, der uns helfen wird. Es war ein Wunder, und in den kommenden Tagen gingen meine kleinen Brüder wieder zur Schule, nachdem unser Wohltäter uns Hoffnung gegeben hatte.“
(Anmerkung: unsere Begegnung blieb nicht folgenlos und wir haben eine Patin für die Familie gefunden. Die Unterstützung (300€/Jahr) deckt die Kosten für die Schulbildung der Geschwister.)

Betty fängt an, sich mit dem Verlauf von Obst selbständig zu machen.
Die Standmiete kostet 200 RWF (20ct) und sie hat ein Einkommen von 1500 bis 2000 RWF (1,50-2,00€) pro Tag. Es ging etwas aufwärts.

„Nach all dem, was wir durchgemacht haben, entschied ich mich, ein echter Christ zu werden. Ich habe zu Gott gebetet, dass er uns nicht verlässt.“
Und dann kam Corona. Und damit der Lockdown und die komplette Ausgangssperre und jede Möglichkeit Geld zu verdienen war dahin.

„Wir fragten uns voller Sorge, wo wir jetzt Essen herbekommen sollen.“ Keine Chance.
„Unsere Regierung begann diejenigen zu unterstützen, die am bedürftigsten sind. Sie gaben uns Essen, aber es reichte nicht mal für einen Monat. Covid-19 und der Lockdown haben unser Leben sehr verändert. Die Tage waren und sind hart und wir wissen oft nicht weiter.“

Didier und Betty in ihrem Zuhause

Betty hat ihre eigenen Wünsche und Träume. Sie möchte „Computer Science“ studieren und würde gerne eines Tages einen eigenen Computer haben und in diesem Bereich arbeiten. Sie möchte gerne heiraten und eine eigene Familie gründen. Sie möchte gerne ohne Sorgen um die Zukunft ihrer Geschwister und ohne Hungergefühl einschlafen können.

„Betty tries so hard and she tries to solve the problems we have,“ sagt Didier. „She is like a mother for us.“
Mutterseelenallein. Das gilt für Betty, Ihre Geschwister haben in ihr jemanden, der Seele und Mutter zugleich ist.

Es sind Begegnungen wie diese, die das Leben bereichern, etwas in einem verändern und die einen nie wieder los lassen.

Wer diese Familie unterstützen möchte, kann gerne unter dem Stichwort „Betty“ über unser Konto spenden.

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